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Von: Mark Simon Wolf
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Habecks Wirtschaftsministerium und die Bundesnetzagentur befürworten flexible Strompreise, die bei fehlender Wind- und Solarenergie ansteigen. Die Industrie warnt vor gravierenden Konsequenzen.
Berlin –Soll die deutsche Industrie ihre Produktion künftig flexibel nach der Wetterlage richten? Diese vermeintlichen Pläne aus dem Bundeswirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) und der Bundesnetzagentur haben in den vergangenen Tagen für Aufruhr gesorgt. Der CDU-Wirtschaftsrat echauffierte sich und auch Wirtschaftsvertreter verschiedener Branchen zeigten sich maximal irritiert. Doch was hat es mit den Plänen konkret auf sich?
Im Auftrag von Habecks Wirtschaftsministerium: Bundesnetzagentur legt Papier für flexiblen Ökostrom vor
Im Auftrag des Wirtschafts- und Klimaministerium (BMWK) hat die Bundesnetzagentur ein Reformpapier für die Netzentgelte ausgearbeitet. Der Plan: Die Netzentgelte sollen teurer werden, wenn wenig Ökostrom aus Wind- und Solarenergie im Netz vorhanden ist.
Nach Vorstellung der Bundesnetzagentur würde dieser Effekt dazu führen, dass die Industrie ihre Produktion hochfährt, sobald keine Wind- oder Sonnenflaute mehr herrscht. Einfach gesagt: Immer dann, wenn der Ökostrom in Massen fließt und somit günstiger ist. „Durch die Energiewende wird ein flexibler Verbrauch von Strom elementar“, heißt es in dem Papier wörtlich.
CDU-naher Wirtschaftsrat kritisiert „verheerenden Plan“ von Habecks Ministerium
Nicht lange nach Bekanntwerden der Ausarbeitung sammelte sich bereits der Widerstand. Der CDU-nahe Wirtschaftsrat positionierte sich in einem Brief an die Bundesregierung sowie den Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, und sprach von einem „verheerenden Plan“: „In keinem anderen Industrieland werden die Unternehmen mit fluktuierender, unplanbarer Stromversorgung konfrontiert“, zitierte die Welt aus dem Schreiben.
Außerdem gehe der Plan der Bundesregierung an der Realität vieler Industrieunternehmen in Deutschland vorbei, moniert der Wirtschaftsrat weiter. Abgesehen von den höheren Kosten während Ökostrom-Flauten – für eine Vielzahl von Unternehmen würde „eine Flexibilisierung aus technischen Gründen ausscheiden, da sie kontinuierliche Produktionsprozesse“ hätten.
Setzt das BMWK seine Pläne tatsächlich um, wäre das eine 180-Grad-Wende. Bisher waren die Kraftwerkskapazitäten immer nachfrageorientiert ausgerichtet. Unternehmen hatten die Versorgungssicherheit, dauerhaft Strom für ihre Produktionen beziehen zu können – egal, wie umfangreich die Auftragslage auch sein mochte. Künftig könnte sich aber speziell die (Groß-)Industrie nach dem vorhandenen Angebot an Strom richten.
Deutsche Industrie erbost über Habeck-Pläne: „Macht nur sehr begrenzt Sinn“
Auch aus der Industrie selbst hagelte es Kritik an den Plänen. „Unsere Branche leidet jetzt schon unter hohen Stromkosten. Deshalb müssen auch im neuen System Entlastungen für stromintensive Produktionsprozesse erhalten bleiben“, erklärte Wolfgang Große Entrup, Hauptgeschäftsführer des Verbands der Chemischen Industrie, gegenüber der Bild. Und: Eine „flexible Produktion nach Wetterlage macht technisch und wirtschaftlich nur sehr begrenzt Sinn.“ Branchenkollege Christof Günther, Geschäftsführer des Chemieparks Infraleuna, befürchtet in der Welt etwa eine Verfünffachung der Netzentgelte und fehlende Wettbewerbsfähigkeit – woraus eine Abwanderung hoch spezialisierter Unternehmen aus Deutschland resultieren könne.
Ähnlich sieht es auch Christoph Ahlhaus, Chef des Mittelstandsverbands BVMW, der den Vorschlag als „völlig gaga“ bezeichnete: „Maschinen und Anlagen brauchen 365 Tage im Jahr rund um die Uhr verlässlich und bezahlbar Strom.“ Auch Vertreter aus Metallindustrie und dem Automobilsektor machten ihrem Ärger Luft.
Wirtschaftsministerium rudert zurück: Papier sei nur eine Überlegung, die zur Diskussion gestellt werde
Konfrontiert mit dem Gegenwind, ruderte das Wirtschaftsministerium gegenüber der Bild prompt zurück. Die Bundesnetzagentur habe lediglich einige Überlegungen zur Diskussion gestellt. Unternehmen müssten sich nicht wegen Stromengpässen sorgen. Man plane lediglich eine Anpassung der Netzentgelte: „Im Kern geht es darum, wann die Stromabnahme durch geringere Netzentgelte gefördert wird und wann nicht“, ergänzte ein Sprecher des BMWK in der Berliner Zeitung. Überhaupt werde die Bundesnetzagentur alle Überlegungen „ausführlich mit allen Akteuren erörtern“ – und dabei auch mögliche negative Auswirkungen für die Industrie berücksichtigen.
Wie sieht die Stromerzeugung der Zukunft aus? Hybrider oder zentraler Kapazitätsmarkt
Grundsätzlich dreht sich der Vorschlag auch um die Frage, ob ein künftiger Kapazitätsmarkt für die Stromerzeugung nach einem hybriden oder zentralen System organisiert sei. Derzeit liefern Wind- und Solarkraft bereits bis zu 58 Prozent des Stroms, die restlichen 42 Prozent stammen aus fossilen Energieträgern wie Kohle oder Erdgas. Das soll in Zukunft immer mehr in Richtung der Erneuerbaren Energien kippen.
Das Problem: Eine hundertprozentige Auslastung wird aufgrund der regelmäßigen Flauten bei Wind und Sonne sowie der aktuell noch nicht praktikablen Speicherfähigkeit überschüssiger Energie aus Hochphasen in naher Zukunft erstmal unerreichbar sein. Gaskraftwerke könnten als „Auffüller“ fungieren, rechnen sich aber laut Experten als Teilzeitlösung nicht wirklich.
Chefs von RWE, EnBW und Uniper sind bei Vorschlag der Bundesnetzagentur skeptisch
In Europa überwiegt das zentrale Modell, in dem Unternehmen auf eine vom Staat festgelegte Stromkapazität bieten können. Wenn sie die Leistung erbringen, erhalten sie dafür eine Zahlung. Das wäre überwiegend mit dem Bau von Gaskraftwerken möglich, obwohl Deutschland gleichzeitig eigentlich die Abhängigkeit von Gas reduzieren möchte.
Trotzdem reagieren RWE-Chef Markus Krebber, EnBW-Chef Georg Stamatelopoulos und Uniper-Chef Michael Lewis mit Skepsis auf den Vorschlag eines hybriden Kapazitätsmarktes. Gegenüber dem Handelsblatt sagte Lewis etwa: „Wenn wir eine dringende und pragmatische Lösung finden müssen, rechnen wir damit, dass der Zentralmarkt besser ist.“
Laut Experten verspricht der hybride Weg komplexere Planungen, die sich allerdings besser mit den Klimaschutzzielen der Bundesregierung aus dem Generationenvertrag vertragen. Neben der flexiblen Nachfrage von Strom sähe dieses Modell auch Investitionen in nachhaltige Speichertechnologie für Strom aus Erneuerbaren Energien vor.